Zwischen Twin Peaks und Silent Hill abgebogen: Deadly Premonition
Zugegeben, auf den ersten Blick ist »Deadly Premonition« alles andere als ein Anime-Game. Ganz im Gegenteil, das umstrittene Adventure aus der Hand von Hidetaka „Swery“ Suehiro orientiert sich sehr stark am westlichen Markt und klaut in vielen Bereichen sogar von einer der bekanntesten US-Serien – nämlich von Twin Peaks. Während die Vorlage nahezu aller modernen Mysterie-Serien aktuell mit Staffel 3 wieder im Fernsehen ist, wird auch Deadly Premonition erneut ausgegraben. Auf Steam ist das Spiel derzeit sogar mit einem fetten 90-Prozent-Rabatt zu haben (Kaufempfehlung!). Als Deadly 2010 erstmals erschien konnte es allerdings wenig Lorbeeren ernten. Warum ihr den abgefahrenen Horrorkrimi trotzdem spielen solltet, verrate ich euch jetzt.
Es hat einen gut erklärbaren Grund, warum die Wertungen von Deadly Premonition seiner Zeit so weit auseinander gingen. Während Destructoid das Spiel mit einer glatten 10/10 als „nahezu perfekt“ lobte, wurde Deadly von IGN mit 2/10 herbe abgestraft. Und das zu Recht. Rein aus technischer Sicht ist der Titel schon damals maßlos veraltet erschienen und hat euphorische Käufer komplett verstört. Deadly Premonition ist optisch gesehen ein schlechter Witz und möchte einem die ganze Zeit „bitte töte mich!“ entgegenrufen. Die Sound-Kulisse ist hölzern, nahezu alle Geräusche klingen wie rudimentär mit dem alten Spielzeug-Rekorder selbst aufgenommen und die Musikuntermalung ist – bis auf wenige echt kultige Tracks – eher fade. Dazu gesellt sich eine unübersichtliche Karte (auf der man keine Wegpunkte festlegen kann..) und ein Fahrzeug, das sich so unendlich behäbig steuert, dass jeder Panzer feixend daran vorbeizieht.
Eine kleine Anmerkung an dieser Stelle: Dass die Technik in Deadly Premonition so veraltet wirkt, liegt vorwiegend daran, dass das 2007 enthüllte Projekt ursprünglich für die PlayStation 2 geplant war. Während die neuere PS3 noch wie Blei in den Regalen lag, wollten die Entwickler wohl einfach auf die größere Kaufkraft setzen. Nach vielen Irrungen und Wirrungen erschien Deadly dann aber erst drei Jahre später für die Xbox 360 und war, gemessen am Standard der Konsole, grafisch ein Desaster. Auf der PS2 hingegen wäre es ein durchschnittlich schönes Spiel gewesen. Dass Games für Vorgänger-Konsolen erscheinen ist in Japan normal. Während westliche Publisher immer eher auf die modernste Plattform setzen, gehen japanische Spielefirmen vor allem danach, wo sich das Spiel besser verkaufen würde.
Wenn ihr jetzt abgeschreckt seid und euch fragt, wie man so ein Spiel ernsthaft auf die Massen loslassen konnte, dann gesellt ihr euch wunderbar zum übermäßigen Teil damaliger Kritiker. Da konnte selbst der Directors Cut, der mit verbesserter Steuerung und leicht aufgehübschter Grafik daherkommt, wenig dran rütteln. Deadly Premonition ist tatsächlich Schrott – gemessen an üblichen Wertetabellen.
Jetzt könnte man das Spiel an dieser Stelle getrost ignorieren, da es den Ansprüchen moderner Gamer in kaum einer Weise genügt. Allerdings gibt es da auch noch die andere, wundervolle, Seite von Deadly Premonition, die mich schon nach kurzer Zeit gefesselt hat und das Spiel zu einem Geheimtipp macht. Mit seiner unverkennbaren Nähe zu Twin Peaks, dem Mix aus Silent Hill und Project Zero sowie einer gewissen (oft technisch bedingten) Cheesiness, mischt Swery viele coole Elemente zusammen, die am Ende ein eigenwillig rundes Erlebnis ergeben.
Wir befinden uns in der scheinbar verschlafenen Stadt Greenvale, die irgendwo im Nichts liegt und so gut wie jedes Mysterie-Klischee erfüllt. Dichte Wälder, skurile Einwohner, ein Sägewerk (es muss einfach IMMER ein Sägewerk geben!) sowie ein muffeliger Sheriff im Cowboy-Look, dem es offensichtlich ziemlich stinkt, dass Protagonist Francis ‚York‘ Morgan die Ermittlungen am bizarren Mord an Highschool-Schönheit Laura Palmer Anna Graham übernimmt oder überhaupt Interesse an den Geschehnissen in und um Greenvale herum zeigt. Greenvale schreit einfach schon danach, dass es unter der schönen Fassade mächtig brodelt.
‚York‘ selbst (wie unser Hauptheld genannt werden will und das auch jedem ungefragt sofort aufs Auge drückt) kommt auch nicht ohne erweiterte Charakter-Eigenschaften aus. So führt er ständig mit seinem imaginären Freund „Zach“ ziemlich einseitige, aber recht amüsante Gespräche, in denen er quasi die aktuellen Geschehnisse kommentiert. Darüberhinaus hat er eine nahezu abgöttische Liebe zu Kaffee (ein deutlicher Hinweis auf sein Twin-Peaks-Gegenstück Agent Cooper) und liest jeden Morgen horoskopartig aus seiner Kaffeesahne.
Glücklicherweise wurde das Spiel kurz vor Release noch mal einer kleinen Überarbeitung überzogen, was die Nähe zu Twin Peaks im Allgemeinen angeht. Zwar ist die Welt von Deadly Premonition in seinen Grundzügen nahezu gleich aufgebaut, doch der Handlungsverlauf unterscheidet sich merklich. Das wird vor allem darin deutlich, dass wir in Deadly einen festen Antagonisten haben – den „Raincoat-Killer“. Der tritt ähnlich wie Pyramid Head aus Silent Hill immer wieder auf den Plan und bringt uns in Bedrängnis. Außerdem ist das Spiel im Vergleich zur Serie deutlich mehr auf Action aus, was sich in der „Anderswelt“ wiederspiegelt. Auch das kennen wir bereits aus Silent Hill. Immer wieder verlässt York die Realität und muss sich in einer Art Alternativ-Welt gegen zombie-ähnliche Dämonen zur Wehr setzen und kleinere Puzzles lösen. Das klingt erst mal spannend, entpuppt sich aber als Schießbude – zumal der Schwierigkeitsgrad im Director’s Cut fixiert wurde und deutlich zu leicht ausfällt.
Das ist aber nicht weiter wild, denn der Fokus von Deadly Premonition liegt auf der Erkundung von Greenvale, der Interaktion mit den Neben-Charakteren und den sehr ausschweifenden Ermittlungen im Fall „Anna Graham“. Hier nimmt das Spiel leichte Züge von Persona 5 an, denn die Handlung ist in Tage unterteilt. Immer wieder müssen wir York ins Bettchen schicken, wenn die Story verlangt, dass wir eine Aktion erst am kommenden Tag ausführen. Daneben gibt es Beschäftigungen wie Angeln oder Autorennen, aber auch ganze Nebenquests und allerhand Sammelkram. Für die Erfüllung eines Story-Abschnitts haben wir eine bestimmte Zeit vorgegeben, dazwischen können wir alles mögliche Anstellen. Dieser Aufbau ist ziemlich ungewöhnlich für ein Survival-Horror-Game, aber da sich Deadly Premonition sowie nicht immer ernst nimmt, kann man das getrost als „typisch japanisch“ einordnen und um ehrlich zu sein sorgt gerade diese Auflockerung für ein wohliges Heimatgefühl und macht sehr viel vom Charme des Spiels aus.
Es ist einfach dieses Gemisch aus Grusel-Klassikern wie Project Zero oder Silent Hill, dem deutlichen Bezug zur Twin-Peaks-Vorlage und der technischen Cheesiness, das Deadly Premonition wirklich zu einem einmaligen Erlebnis macht. Die ungewollte Komik, zusammen mit der spannenden Story, der Spielwelt und den coolen Charakteren, sorgt für gute Unterhaltung – wenn man bereit ist, sich von den Macken des Spiels nicht direkt zur Deinstallation verführen zu lassen. Hier lohnt sich „Augen zu und durch“ wirklich, denn wenn einen Greenvale erst einmal gefesselt hat, lässt die Stadt einen so schnell nicht wieder los.
Bis zum 12.07 kann Deadly Premonition bei Steam für 2,49€ gekauft werden. Allerdings läuft die Version, ein letzter Fauxpas der Entwickler, nur mit 720p. Mithilfe des Community-Patches kann man das aber aushebeln und höhere Auflösungen einstellen.
Datum: 09.07.2017
Kategorien: Blog, Gaming-Reviews