Endlich auf dem großem TV: Pokémon Let’s Go im Test

Endlich ein „echtes“ Pokémon-Spiel für die Heimkonsole, diesen Wunsch hegen die Fans der Taschenmonster schon seit den N64-Zeiten. Nintendo hatte dazu in der Vergangenheit auch schon einige Andeutungen gemacht. Mit Pokémon: Let’s Go Pikachu und Evoli ist es nun endlich soweit, oder? Naja, nicht wirklich. Schon kurz nach Enthüllung war klar, dass uns mit dem Switch-Release nicht die ersehnte 8. Generation erreicht, sondern eher eine Zeitreise in die ersten Tage des Franchise. Damals, als sich Pokémon gerade zum weltweiten Phänomen entwickelte und auch im deutschen TV ankam, da erschien mit der „Gelben Edition“ ein Ableger, der besonders für die Fans des Animes interessant war – konnte man doch hier endlich zusammen mit seinem Kumpel Pikachu die Welt bereisen, und der allerbeste Pokémon-Trainer werden. Der Clou: Genau wie in der beliebten TV-Serie war Pikachu viel mehr als nur ein Pokémon, es war von Anfang an unser Freund und Begleiter.

Pokémon: Let’s Go Pikachu und Evoli greifen das sehr gut auf und drehen die Uhr einige Jahre zurück: Ich bereise die Kanto-Region, bezwinge die acht Arena-Leiter, sammle alle 151 Pokémon und nehme es daneben noch mit dem gefährlichen Team Rocket – stilecht mitsamt Jessy, James, Mauzi und Giovanni – auf. Pokémon: Let’s Go orientiert sich dabei fast komplett an der Story von Pokémon Gelb und lässt mich zu Beginn gerade mal entscheiden, ob ich ein Mädchen oder einen Jungen spielen will. Mein Rivale, natürlich der Enkel von Professor Eich, ist diesmal allerdings kein fieser Rüpel, sondern unverschämt nett und zudem hier und da ein ziemlicher Döskopp.

Die wohl stärkste Neuerung im Spiel ist das auf Pokémon Go beruhende Fang-Prinzip: Anstatt ein Pokémon im Kampf zu schwächen und zum Schluss mein Glück mit dem Pokéball zu probieren, benutze ich diesmal meinen Joycon, um den Wurf quasi aus dem Handgelenk zu schütteln. Ein vorheriger Kampf ist nicht mehr nötig, dafür muss ich das gewünschte Pokémon in vielen Fällen zunächst mit etwas Obst milde stimmen und darauf achten, dass der Wurf besonders präzise ist. Wenn selbst das nicht mehr hilft, muss ein stärkerer Pokéball her. Bälle-Nachschub besorge ich mir bei Händlern in den größeren Städten, oder finde sie als Beute in der Spielwelt. Besiegte Trainer übergeben mir neben einer Hand voll Pokédollar ebenfalls oft auch ein paar Bälle. Richtig gehört: Unsere Pokémon sind natürlich nicht nur zum Bestaunen da, sondern müssen auch in Duellen antreten. Ob gegen andere Trainer, die mächtigen Arena-Leiter oder das gemeine Team Rocket. An jeder Ecke warten Kämpfe auf mich. Ganz klassisch im Stil eines J-RPGs – also rundenbasiert.

Damit hätten wir das beste aus beiden Welten, denn um ehrlich zu sein fand ich früher die Zufallsbegegnungen mit den Pokémon auf die Dauer ziemlich nervig. Zum zehnten Mal gegen wildes Ratzfratz zu kämpfen machte einfach keinen Spaß. Hier ist Pokémon: Let’s Go wunderbar erfrischend, zumal ich die Pokémon in meiner Umgebung immer sehe und damit auch entscheiden kann, ob ich einen Fangversuch starte. Die Pokémon fallen außerdem unterschiedlich stark aus, manche haben sogar noch einen besonderen Status.

In den Kämpfen gilt: Jeder Trainer kann bis zu sechs Pokémon in der Tasche haben, die jeweils vier Attacken beherrschen. Der Teufel liegt hier im Detail: Pokémon unterschiedlicher Elemente (Luft, Wasser, Elektro, Feuer usw.) reagieren unterschiedlich stark aufeinander, dazu kommen neben vielen Offensiv- auch Defensiv-Fähigkeiten sowie Stärkungs- und Schwächungs-Angriffe. Das J-RPG-Konzept kennen Fans schon seit der ersten Stunde und lieben seine taktische Tiefe. Diese kann Pokémon: Let’s Go allerdings im Early- und Midgame nicht richtig ausspielen, da der Schwierigkeitsgrad unterdurchschnittlich gering ausfällt. Zu Deutsch: Wer nicht gerade zum ersten Mal einen Controller in der Hand hält, wird große Teile der Story kaum Probleme haben.

Vor allem die beiden Flagship-Pokémon Pikachu und Evoli sind schon von Beginn an ziemlich stark und bekommen zudem noch unheimliche mächtige Spezialattacken. Da dauert ein Kampf oft keine drei Runden. Natürlich kann man den Schwierigkeitsgrad dadurch erhöhen, in dem man schwächere Pokémon bevorzugt oder nach einer der beliebten Fan-Challenges spielt, doch hier wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Game Freak die Balance-Kurve eher in Richtung Anspruch geschoben hätte.

Es wird sehr schnell klar, wer die eigentliche Zielgruppe des Spiels ist: Die Fans von Pokémon Go, die Nintendo mit diesem Spiel an die Switch führen will. Auch für Nostalgiker, die mit Pokémon: Let’s Go noch mal in ihre Kindheit zurück wollen, ist dieser Ableger sehr geeignet. Immerhin gilt die Kanto-Generation bis heute als die beliebteste. Hardcore-Fans hingegen werden dem anspruchslosen Spiel schnell überdrüssig und müssen sich mit der Hoffnung auf das Post-Game über Wasser halten. Nach dem regulären Ende warten nämlich einige toughe Herausforderungen. Zunächst mal das PvP gegen Spieler aus der ganzen Welt – entweder 1-gegen-1 oder im 2-gegen-2. Hier komme ich je nach Gegner mit meinen Standard-Pokémon nur bedingt weit und muss damit beginnen, mit ein wirklich starkes Team aufzubauen. Im PvE tauchen zudem noch die Meister-Trainer auf, die ebenfalls besonders starke Pokémon ins Rennen schicken und dann gibt es natürlich noch die allumfassende Quest, wirkliches jedes der 151 Pokémon zu sammeln. Zwar ist das alles im direkten Vergleich mit Pokémon Sonne und Mond natürlich etwas dürftig, aber wie schon angemerkt ist Pokémon: Let’s Go weniger DAS nächste große Pokémon-Spiel, als mehr ein Weg, neue Fans langsam an das Franchise zu führen. Als jemand, der in den letzten Jahren kaum ein Pokémon-Spiel in der Hand hatte, habe ich super viel Spaß mit Let’s Go, gerade weil es mich nicht erschlägt.

Wirklich cool ist dazu noch der lokale Koop-Modus, der nach Lust und Laune zu jeder Zeit aktiviert werden kann und es einem zweiten Spieler ermöglicht, die Kontrolle über einen eigenen Charakter zu übernehmen. Zwar ist dieser nur ein Dummy, der keine eigenen Aktionen durchführen oder Pokémon besitzen kann (für die Kämpfe nimmt der Mitspieler immer das zweite Pokémon aus dem Team), bringt dem Ganzen aber etwas mehr Dynamik. Vor allem beim Fangen, wenn gut abgestimmte Kombowürfe einen besonders starken und hübsch animierten Fangversuch auslösen. Allerdings leidet der ohnehin schon niedrige Schwierigkeitsgrad noch mal unter der doppelten Power, da die Spielwelt sich dem nicht anpasst und man plötzlich zu zweit gegen einen Trainer kämpft, was nicht nur unfair klingt, sondern auch unfair ist.

Ein besonderes Gadget ist der Pokéball Plus, der für rund 40 Euro extra erworben werden kann. Dieser dient nicht nur als besonders stylischer Joycon, sondern kann auch für weitere Funktionen genutzt werden. Ich kann zum Beispiel ein Pokémon in den Ball laden, das ich dann auch außerhalb des Spiels mit mir herumtrage. Je nach gelaufenen Kilometern bekommt es dann Erfahrungspunkte. Nach rund 10.000 Schritten zum Beispiel war unser Level 5 Piepi dann Level 25. Eine gute Möglichkeit also, ein bestimmtes Pokémon zu leveln. Zwar könnte ich das System auch einfach austricksen und den Pokéball Plus einfach in der Hand pendeln, aber das muss dann wohl jeder für sich selbst entscheiden. Weiter kann der Pokéball Plus auch mit Pokémon Go verknüpft werden und dient hier als Erweiterung, ähnlich dem Pokémon Go Plus. Als schmackhaftes Bonbon enthält jeder Pokéball Plus ein Mew. Der Spezial-Controller ist ein deutliches Highlight von Pokémon: Let’s Go und das vereinfachte Aufleveln bei Schrittzähler will ich gar nicht mehr missen.

Aber auch ohne Pokéball Plus kann ich Pokémon: Let’s Go mit Pokémon Go verknüpfen und in der ehemaligen Safari Zone (die jetzt GO-Park heißt) Pokémon zwischen den beiden Spielen tauschen oder kleinere Quests in Pokémon Go lösen. Hier wird noch mal deutlich klar, dass vor allem die Spieler von Niantics Mobilegame angesprochen werden sollen. 

Rein technisch fällt Pokémon: Let’s Go okay aus. Die Größe der Spielwelt, die sich fast komplett am GameBoy-Original orientiert, ist mittelmäßig – man hat sie halt schnell durchreist. Zwar ist sie abwechslungsreich gestaltet, doch ein wenig mehr Raffinesse hätte dem Ganzen schon gut getan. Besonders die starren Figuren mit ihren oft wiederkehrenden Outfits fallen hier negativ auf. Zwar haben all die Gören, Käfersammler, Gentleman und Knirpse jetzt einen Vornamen, sehen aber ansonsten komplett gleich aus. Auch in den Kämpfen wären ein paar mehr Animationen schön gewesen – das hatte seiner Zeit schon Pokémon Stadium besser hinbekommen. Auflösung und Sound-Qualität gehen aber klar, auch an der Performance gibt es nichts zu meckern. Es ist eben alles etwas übersichtlich.

Fazit

Das liest sich nun teilweise etwas ernüchternd und ja, Pokémon Let’s Go ist bei Weitem nicht das erhoffte große Pokémon Rollenspiel für die Switch, auf das viele Fans schon lange warten. Hier hatte Nintendo zum Glück bereits bestätigt, dass es 2019 mehr Infos zur kommenden Generation geben wird. Für Zwischendurch und um nochmal in Nostalgie zu schwelgen, taugt Let’s Go aber auf jeden Fall. Vor allem das händische Fangen ist sehr motivierend und die Online-Duelle bringen ordentlich Pepp mit – auch wenn erweiterte Features der späteren Spiele keine Verwendung fanden und das Kampfsystem daher eher rudimentär ausfällt. Der Trip zurück nach Kanto, mit den lieb gewonnenen Figuren und dem Gefühl zurück in die Kindheit zu reisen, hat auf jeden Fall Spaß gemacht. Ich meine, wie cool war es, mal wieder auf der MS Anne zu sein oder die Siegerstraße zu erobern? Klar, es fehlt an vielem und vor allem am Anspruch, aber dennoch zeigt Pokémon: Let’s Go dass es mehr denn je Zeit für den Einzug von Pokémon auf der großen Heimkonsole ist.

 

Autor:
Datum: 23.11.2018
Kategorien: Blog, Gaming-Reviews, Nintendo

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